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ENGL - F
Zoltán Kodály: Kinderchor in Ungarn - Zitate
Das Volkslied ist eine Variation der Muttersprache.
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Zoltán Kodály am Klavier [1] - Kinderchor in Ungarn 2012: Bárdos Lajos - Édesanyámhoz (Lajos Bárdos - An meine Mutter) [2] -
Ungarisches Kunsthandwerk Stickerei [3]
präsentiert von Michael Palomino (2025)
aus den Notizen zur Diplomarbeit "Die musikpädagogische Konzeption Zoltan Kodálys"
von Bratscher Michael Schulz (seit 1999: Michael Palomino) - abgegeben bei Prof. Dr. Anselm Ernst - als Student an der Musikhochschule Freiburg im Breisgau (Deutschland) bei den Bratschenprofessoren Ulrich Koch und Gündel, 30. März 1987
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Inhalt
1. Kodály definiert echte und unechte Volksmusik in Ungarn
2. Die Klassischen Musik der "Elite" (von Bach bis Brahms) ohne Volkslied - der Schulchor als Basis
3. Das Schulsystem soll die Kinder in guter Musik schulen
4. Ungarn muss seine eigene Musikerziehung entwickeln
5. Das Volkslied im Kindergarten
6. Zitate aus "Kinderchöre" (1929)
Das Schulsystem mit Musik ergänzen - das Publikum von morgen - ungarische Volksmusik integrieren - Kinderchöre fördern - Kompositionen für Kinderchor fehlen - Lohngleichheit für Musiklehrer - Musiklehrer soll Kinder zwischen 6 und 16 für Musik begeistern
Zusammenfassung
Zoltán Kodály (1882-1967) studierte Komposition in Budapest und entdeckte, dass die ungarische Bevölkerung von deutscher, klassischen Musik kolonisiert war. In Ungarn wurde deutsch-klassische Musik und Zigeunermusik in Dur und Moll als "ungarisch" angesehen, obwohl die ungarischen Volkslieder, die den Pentaton als Grundlage hatten, gar nicht vorkamen. Er ging aufs Land und erforschte die ungarische Volksmusik, wo die klassische "Kunstmusik" teilweise noch nicht vorgedrungen war. Ab den 1930er Jahren appellierte er ans Kulturministerium von Ungarn, die ungarische Volksmusik ins Schulsystem zu integrieren, was in den 1950er Jahren dann auch endlich gelang. Hier sind Zitat seiner Grundsätze und Appelle zum Musizieren vom Kindergarten bis ins hohe Jugendalter: Kinderchor und Jugendchor.
1. Kodály definiert echte und unechte Volksmusik in Ungarn
Kodály definiert "blutarme Liedliteratur"
aus: Zoltan Kodály: Die erste Oper Béla Bartóks (1918) - (74)
"Die ersten musikalischen Versuche der vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts [um 1840] haben die blutarme Liedliteratur und die Zigeunermusik als unmittelbare Vorgänger betrachtet und schlossen sich an sie an. Was in die Entwicklung hie und da von unten aus den ältesten Schichten, hineingeflossen ist, das führt zu der in neuen Schwung geratenden ungarischen Musik, welche an dieser älteren und originaleren Stelle den gerissenen Faden der Tradition wieder aufgegriffen hat. Diese halbdilettantische Literatur (die Pseudo-Volksmusik) die nicht völlig wertlos, aber doch nur an der Oberfläche ungarisch ist, musste aus dem Bereich der höheren Kunst ausgeschlossen bleiben [...]
Kodály meint: Die trivialen Lieder von 1850 haben die echte Volksmusik in Ungarn verdrängt
aus: Zoltán Kodály: Auferstehung des Volksliedes (1918) - (2)
"Diese Literatur hatte lange Zeit für sich die Bezeichnung "Volkslied und unverfälschte ungarische Musik" beansprucht, sie wirkte bis in die untersten Schichten des Volkes hinein und verband Stadt und Dorf miteinander. Sie blühte und ging mit dem Volksstück unter, lebte aber im Dorf weiter. Dadurch wurde der alte und originale Liedschatz des Volkes verdrängt, welcher erst durch die neuren Forschungen allmählich seinem wahren Reichtum an die Oberfläche gebracht wurde."
aus: Zoltán Kodály: Der Weg des ungarischen Chorgesangs (1935) - (10)
"Welche Merkmale haben diese Lieder von 1850? Zwei gegensätzliche, das eine ist das fröhliche Feiern, das andere eine etwas traurige, krankhafte Nostalgie - eine Art zielloser Todessehnsucht -, kurz gesagt "das weinende Lustigsein".
2. Die Klassischen Musik der "Elite" (von Bach bis Brahms) ohne Volkslied - der Schulchor als Basis
Die Klassische Musik ("Kunstmusik") hat Volkslieder teilweise integriert - aber manche Gegenden blieben lange ohne "Kunstmusik"
aus: Zoltán Kodály: Das Volkslied in der russischen und ungarischen Kunstmusik (1946) - 42 (38)
"Zunächst wurde die literarische, sprachliche Bedeutung der Volksdichtung erkannt. Das Interesse am Musikalischen erwachte aber erst ein bis zwei Generationen später und hatte nicht in jedem Land die gleiche Bedeutung. In Deutschland, Frankreich, Italien, wo die Musikkultur seit längerer Zeit in Blüte stand und eine grosse musikalische Literatur entstanden war, ist das Volkslied schon in den vergangenen Jahrhunderten in die Kunstmusik übergegangen oder hat zumindest eine ihrer Gattungen befruchtet. In diesen Ländern erwachte um die Wende vom 18. zum 19.Jh. das Interesse am Volkslied, hatte jedoch vorerst keinen Einfluss auf die Kunstmusik.
In einigen Ländern aber, wo die Kunstmusik noch nicht lange existierte, hat das Volkslied sehr stark auf die Stilentwicklung eingewirkt."
Der "Adel" hat sich vom Volkslied verabschiedet und die "Adligen" singen nicht mehr (!)
aus: Die ungarische Volksmusik (1925) - Kopie S. 23,24,25,26 27,28,29,30,31
"Die ungarische Volksmusik ist viel mehr. Erstens: Sie ist keine "Klassekunst". Sie existiert zwar heute nur noch unter dem Bauernvolk, aber das ganze Ungarntum hat mit ihr etwas zu tun. Wie in ein grosses Sammelbecken flossen seit tausend Jahren viele Bäche hinein. Es gibt keine Schicht, des ungarischen Volkes, von der nicht wenigstens ein einziges Erlebnismoment seine Spur in ihr hinterlassen hätte. Deshalb ist sie seelische Widerspiegelung des Ungarntums [...] Das ungarische Volk bildete einst - noch nicht lange vergangen - eine ungegliederte Einheit. Selbst die Pluralisierung der Gesellschaft hat keine kulturelle Trennung mit sich gebracht. Noch vor 300 Jahren erklang bei uns in Burg und Hütte das gleiche Lied. Seither ist die Burg zerstört; ihr Bewohner ist den Liedern fremd oder untreu geworden. Er bewahrt zwar seine alten Schätze, die Prunkkleider und Waffen. Aber er hat aufgehört zu singen. Die Hütte blieb treu, den wertvolleren Teil des Schatzes hat sie aufbewahrt: das uralte Mobiliar der Seele. die Völker im Westen besitzen heute noch bis zum 13.Jh. zurückreichende geschriebene und gedruckte reiche Melodiensammlungen. Bei uns muss auch dieses die Volksüberlieferung nachholen."
[Ergänzung: Österreich-Ungarn: Ungarisches Volkslied singen nur die Armen
Wegen der österreichischen Kolonisierung mit "klassischer" Musik und mit Deutsch als Kommunikationssprache in Österreich-Ungarn bis 1918 hatte der Adel in Ungarn nicht meh rden Mut, ungarische Volkslieder zu singen. Man kann annehmen, dass dabei auch folgender Vergleich galt: Ungarisches Volkslied = extreme Armut, das singen nur die "Armen"].
Man könnte eine Brücke zwischen der "Kunstmusik" und dem Volkslied schaffen
ebenda: Die ungarische Volksmusik (1925) - Kopie S.32
"Die eine Hand wird von dem Nogaj-Tataren, von dem Wojtjaken, von dem Tscheremissen gehalten, die andere von Bach und Palästrina. Werden wir die beiden Welten jemals miteinander verbinden können? Wird es uns jemals gelingen, eine Brücke zwischen den Kulturen Europas und Asiens zu bilden, statt wie eine Fähre zwischen beiden Seiten hin und her getrieben zu werden? Das würde als Aufgabe für die nächsten tausend Jahre ausreichen."
Ungarn hatte in den 1930er Jahren nur ein kleines Publikum für die"Kunstmusik"
aus: Zoltan Kodály: Die musikalische Mission im Inland (1934) - 100 (9)
"Die Hochschule für Musik erzog ausgezeichnete Musiker für das Ausland. Hier, zu Hause, war nämlich kein Publikum für sie da, weil niemand der Jugend, den Massen, den Weg zur höheren Musik geebnet hatte."
Ungarn 1945: Die Staatsschule bringt den Kindern kein Singen oder Kunst bei - da fehlt etwas im Schulsystem für die "nationale Bildung"
aus: Interview im Wochenblatt von Béla Balázs (1945) - 101 (33)
[Kodály stellte 1945 fest, dass] "... gerade die Schule, die die breiten Massen des Volkes von der Kunst abgeschreckt hatte. Und das Leben hatte sie auch nicht für die Kunst gewinnen können..."
aus: Zoltán Kodály: Musikalische Breitenbildung (1945) - 102 (31)
"Von nationaler Bildung kann erst dann gesprochen werden, wenn breite Volksschichten den Segen der Musik geniessen und sich daran erfreuen."
Ungarn 1934: Die "Kunstmusik" soll jeder verstehen lernen - Musik ist "Gemeingut" - Musik ist für alle da
aus: Zoltán Kodály: Musikalische Mission im Inland (1934) - 103 (9)
"Was wir zu tun haben, ist mit einem Wort gesagt: Erziehung. Aber eine gegenseitige. Die Massen müssen der Kunstmusik nähergebracht werden."
ebenda: Zoltán Kodály: Musikalische Mission im Inland (1934) - 104 (9)
"... Der Weg in diesen Annäherungsprozess ist der Chorgesang, welcher aber [in Ungarn, das erst 1918 entkolonisiert wurde] seine Aufgabe erst dann erfüllen kann, wenn er neu geboren wird."
aus: Zoltán Kodály: Éneklö Ifjúság (1941)
"Dieses Blatt soll die Jugend aus dem musikalischen Analphabetentum herausführen".
ebenda: Dez. [1941?]
"Wir müssen den Grund des ungarischen musikalischen Bewusstseins von den Ruinen der ungarischen Gleichgültigkeit, der überholten und falschen musikalischen Erziehung befreien ... Die Bewegung "Singende Jugend" vertritt weder Klassen- noch Schichteninteressen. Musik ist Gemeingut!"
3. Das Schulsystem soll die Kinder in guter Musik schulen
Die Schule schult die Kinder in den Künsten
aus: Zoltán Kodály: Popularisierung der E-Musik (1946) - 119 (41)
"Der Geschmack der Erwachsenen ist kaum mehr zu ändern, aber der gute Geschmack, der früh genug ausgebildet wurde, kann später nur schwer verdorben werden."
aus: Reflexionen über den Lehrplanentwurf für Musik (1952) - 120 (52)
"Es war klar, dass etwas getan werden musste, damit im Lande das Verlangen nach mehr und besserer Musik wüchse. Auf der Suche danach, wo die Arbeit einsetzen müsste und könnte, wandte ich ich an immer jüngere Altersklassen [...] Die Erziehung der Massen muss in der Schule, ja sogar schon im Kindergarten begonnen werden."
aus. Zoltán Kodály: Éneklö Ifjúsig (1941) - 121 (20)
"Die Schule als Erziehungssystem erfasst sämtliche Kinder in dem Alter, in dem sie für Musik am empfänglichsten und in die systematische Arbeit leicht einzuführen sind."
Kodály definiert den "vollwertigen Mensch", der die Künste versteht - und "Torso"
aus: Zoltán Kodály: Zum Musikunterricht der Sekundarstufe (1953) - 122 (57)
"Jeder Staatsbürger erwartet mit Recht, dass die von seinem Geld unterhaltene, staatliche Schule sein Kind einer allgemeinen und vollkommenen Bildung entgegenführt und den körperlichen und seelischen Fähigkeiten desselben zur Entfaltung verhilft. Ist ein Mensch vollwertig [ein "Vollmensch"], wenn er unfähig ist, die Künste zu schätzen? Nein, er ist ein Torso, sein Leben ist leer, trotz materiellem Überflusses."
[Ergänzung: Wirklich "Vollmensch"?
Hier unterschätzt Kodály die Naturwissenschaften und Mutter Erde, denn die haben auch ohne "Kunstmusik" immer gut überlebt. Und die "Künstler" verstehen einen grossen Teil der Naturwissenschaften und von Mutter Erde nicht. Insgesamt gleitet Kodály hier in den Rassismus von Rudolf Steiner ab mit dem Wort "Vollmensch"].
Musik in der Erziehung ist wichtig
aus: Zoltán Kodály: Reflexionen über den Lehrplanentwurf (1952) - 124 (52)
"Die Musik ist ein unverzichtbarer Teil menschlicher Erziehung und kein Luxusartikel. Ein in seiner Ganzheit erfülltes Leben ohne Musik gibt es nicht."
[Falsch: Die wichtigsten Elemente im Leben sind gute Eltern und eine konstruktive Familie - und nicht die Musik. Denn ein gutes Familienleen mit Harmonie und ohne Überlastungen gibt einem dasselbe Gefühl wie Musik: Harmonie. Da fehlt dem Kodály die Soziologie und Psychologie].
Erziehung im alten Griechenland hatte die Musik als zentrale "Muse" zur Schulung des Gemüts
aus: Zoltán Kodály: Ihr Herren vom Kulturministerium: Lasst doch die Kinder singen (1956) - 126 (63)
"Bis jetzt gelang am ehesten den Griechen die harmonische Kultivierung von Geist und Körper in der Erziehung. In ihr bekam die Musik die zentrale Rolle."
Anmerkung: "Musik [griechisch: musike technee "Kunst der Musen"], ursprünglich bei den alten Griechen die Kunst der Musen; umfasste alle Geist und Gemüt bildenden Künste. Erst sei der christlichen [Jesus-Fantasie]-Zeit Name für Tonkunst."
Musik soll ein Teil der normalen Erziehung sein
aus: Zoltán Kodály: Musikleben einer Provinzstadt (1937) - 153 (16)
"Es leuchtet uns allen ein, dass die Eliten- und Massenerziehung eine voneinander nicht zu trennende organische Einheit bilden müssen. Das Ergebnis wird von bleibendem Wert sein, wenn beide sich im Gleichgewicht befinden. Um dieses Gleichgewicht zu erreichen, muss der Musikunterricht gefördert werden, besser gesagt, neu gestaltet werden - das ist unser wichtigstes Tun."
Musik machen in der Schule in der Gruppe fördert das geistige und gesellschaftliche Leben in der Schule
aus: Zoltán Kodály: Ihr Herren vom Kulturministerium: Lasst doch die Kinder singen (1956) - 156 (63)
"Im Musikunterricht lernen wir nicht nur Musik. Das Singen fördert die Konzentration, die Aufmerksamkeit, verbessert die psychosomatische Disposition, erzieht zur Arbeit, macht Kräfte im Menschen lebendig, gibt Mut, befreit ihn von Hemmungen, erzieht zur Gemeinschaft, bewegt den ganzen Menschen, nicht nur partiell und macht die Schule anziehender. Der Musikunterricht fördert die in jedem Menschen vorhandene Musikalität, damit legt er die Grundlage der musikalischen Bildung, wodurch seine Lebensqualität erhöht wird."
Musik ist wie geistige Nahrung - für ein erfülltes Leben
aus: Zoltán Kodály: Musik im Kindergarten (1941) - 158 (21)
"... auch der Dreijährige ist ein Mensch. Das Kind soll ernst genommen werden ... Die Musik ist Nahrung und kann durch nichts ersetzt werden. Ein in seiner Ganzheit erfülltes Leben ohne Musik gibt es nicht. Die Bestimmung der Musik besteht in der Entfaltung des Menschen."
Die Vermittlung von Musik: der Kinderchor - der Männerchor - und schlechte Chorleiter
aus. Zoltán Kodály: Musikleben einer Provinzstadt (1937) - 169 (16)
"Den besten Weg dafür stellt der Chorgesang dar. Das wäre in Ordnung, das haben wir ja in jedem Dorf, könnte man behaupten. Nun, das heisst noch lange nicht, dass diese Chöre auch nur ein Mindestmass an künstlerischem Niveau haben, einfach deshalb, weil das Repertoire unkünstlerisch und schlecht ist. Der deutsche Männerchor - also das, was wir im Grunde übernommen haben - dient eher der gesellschaftlichen Zusammenkunft, als dass er eine Institution der Kunst wäre. Er kann aus seiner Beschränktheit schon wegen seiner Mittel nicht herauswachsen. Daher kommt es, dass man die Namen der grossen Meister im Katalog des Männerchor-Repertoires kaum findet."
Ein gesundes Gesellschaftsleben kommt durch die Musik
aus: Zoltán Kodály: Musik im Kindergarten (1941) - 174 (21)
"Wenn wir wirklich neues Leben in unser Land bringen wollen - und wer wollte das nicht - müssen wir auch durch die Musik neu geboren werden."
4. Ungarn muss seine eigene Musikerziehung entwickeln
Nicht alles aus Deutschland übernehmen, das passt nicht
aus: Zoltán Kodály: Bicinia Hungarica, Nachwort zum 1. Heft (1937) - 191 (15)
"Diejenigen, die bis heute glauben, dass wir vom Westen nur durch das deutsche Felter [?] lernen dürfen, sollen begreifen, dass die Deutschen schon das zweite Mal (Hundsegger und Jöde) das englische System adaptierten, und dass es trotz einiger Mängel der Adaption in Deutschland, Österreich und in der Tschecheslowakei verbreitet ist ... Warum müssen wir alles aus zweiter Hand nehmen und dazu noch auf den Geschmack der Nation abgestimmt, die sich von uns in Empfindung und Denkart mehr unterscheidet als irgendein anderes europäisches Volk? ... Schöpfen wir aus den originalen Quellen. Wir sollten nie die geistige Kolonie eines Landes werde, aber übernehmen, was für uns zu verwerten ist."
Die Schulung der Bevölkerung - nicht nur die Zigeunermusik ist ungarisch
aus: P.J. Koppa: Arme ungarische Musikkultur - 193 (292)
"Das ungarische Publikum muss unbedingt aus dem primitiven Zustand seines musikalischen Auffassungsvermögens herausgerissen werden. Der Durchschnittsungar kann heute nämlich eine musikalische Struktur, die etwas komplexer ist als ein Lied, weder überblicken noch aufmerksam verfolgen. Wäre das auch eine nationale Eigenart? Nein, das ist bloss musikalische Unwissenheit, musikalisches Brachfeld, zu dessen Bestellung die Schule berufen ist.
Damit der nationale Geist sich auch in höheren Kunstformen ausdrücken kann, ist die Hebung des Bildungsniveaus der ganzen Nation notwendig.
Man kann die Ungarn dann nicht mehr mit dieser und jener verschiedenen Farbe und musikalischen Mode von der klassischen Musik abschrecken. Es verschwindet der Irrglaube, dass nur die leichte Musik [Zigeunermusik] ungarisch sein kann; dann wird es den einander ausschliessenden "Entweder-Oder"-Gegensatz der ungarischen und klassischen Musik nicht mehr geben."
Die Sekundarschule ohne Musik ist eine tote Schule - die Musik ist "seelische Kraftquelle"
aus: Zoltán Kodály: Musikalische Mission im Inland (1934) - 195 (9)
"Unser wichtigstes Tun betrifft die Schule. Welches Bild hat der Durchschnittsungar von der Musik, was erfuhr er über sie? Er hat 16 Jahre die Schulbank gedrückt, ohne sie [die Musik] jemals [an]getroffen zu haben. In der Primarstufe ist ihre Spur nur gerade noch zu entdecken, aber der Lehrplan unserer Sekundarstufe spricht offen von der pädagogischen Nutzlosigkeit der Musik: man braucht sie nicht. Wie soll die zukünftige Gesellschaft zum besseren Verstehen und Werten von Musik gelangen, wie soll sie Musik als lebensnotwendig empfinden, wenn sie nicht im empfindlichsten Stadium ihres Lebens mit ihr konfrontiert wird? Die Musik kann nicht weiter als privates Vergnügen gelten, sondern sie stellt eine seelische Kraftquelle dar, wie dies jede Kulturnation längst erkannt hat. Jedes ungarische Kind soll an ihr teilhaben!"
aus: Zoltán Kodály: Bicinia Hungarica, Nachwort zum 1. Heft (1934) - 200 (15)
"Theoretische Überlegungen sind unnötig ... Die intuitive Empfindung, die Erfahrung (Übung) führen eher zur Musik als eine besserwisserische Interpretation."
5. Das Volkslied im Kindergarten
Kindergartenkinder lernen spielend
aus: Zoltán Kodály: Musik im Kindergarten (1941) - 202 (21)
"Es muss aber schon im Kindergarten damit begonnen werden, denn dort lernt das Kind all das spielend, wofür es in der Grundschule zu spät ist."
Ungarn muss die österreichisch-deutsche, koloniale Musikkultur mit deutschen Kinderliedern überwinden
aus: Zoltán Kodály: Musik im Kindergarten (1941) - 202 (21)
"Der grösste Fehler unserer Kultur ist, dass sie von oben nach unten gebaut wurde. Als sich unsere Kultur nach hundertjähriger, nationaler Unterdrückung [Österreich-Ungarn verlangte Deutsch als Kommunikationssprache] entfalten konnte, wollten wir die Versäumnisse viel zu hastig nachholen. Die Kultur ist das Ergebnis allmählichen Wachstums. Das zu beschleunigen oder an der Ordnung der Entwicklung etwas zu ändern, ist nicht möglich. Wir haben zuallererst die schmucken Türme aufgebaut, erst, als wir merkten, dass das ganze Machwerk ins Schwanken geriet, begannen wir, die Stützmauern aufzuziehen. Der Bau des Fundaments muss noch erfolgen. Diese Situation trifft besonders in der Musikkultur zu."
Kindergarten: Die Schulung der Kinder zwischen 3 und 7 Jahren ist wichtig
aus: Zoltan Kodály: Musik im Kindergarten (1941) - 205 (21)
"Der Kindergarten ist von besonderer Bedeutung, seit die Kinder die Grundschule erst vom vollendeten 6. Lebensjahr an besuchen dürfen. [...] Die Psychologie von heute weist überzeugend nach, dass das Alter von 3-7 Jahren für die Erziehung viel wichtiger ist als die Jahre danach. Was in diesem Alter verdorben oder versäumt wird, kann später nicht wiedergutgemacht werden oder nachgeholt werden. In diesen Jahren entscheidet sich das Schicksal des Menschen so gut wie für das ganze Leben. Liegt die Seele bis etwa zum siebenten Jahr brach, so wird sie sich auch für spätere Saat als unfruchtbar erweisen."
Musik und Singen zwischen 3 und 7 Jahren
aus: Zoltan Kodály: Interview in "Jugend" (1941) - 206 (20) - S.62, 63, 64, 65
"[...] Ich kann nicht oft genug betonen, dass es eine falsche Erziehungspolitik ist, mit dem Musikunterricht und mit der Erziehung zur Musikliebe erst in der Mittelschule zu beginnen. Die ersten Äusserungsformen des Denkens, den Anbruch des Verstandes, sollte der Lehrer zur frühen Innervation der musikalischen Elemente benutzen, die musikalische Ausbildung muss also schon im Kindergarten ihren Anfang nehmen und die Ausbildung des musikalischen Gehörs durchgeführt werden. Die musikalische Erziehung im Alter zwischen 3 und 7 Jahren hat im wichtigsten Stadium der Entwicklung des kindlichen Verstandes und der kindlichen Seele eine ausserordentliche Bedeutung [...]
Die musikalische Bildung kann nicht mit Geld aufgewogen werden. Das Aneignen der musikalischen Kenntnisse muss nicht unbedingt an Instrumentalkönnen gebunden sein. Übrigens ist die Grundlage einer tieferen musikalischen Bildung ausschliesslich der Gesang. Eine Stimme besitzt jeder. Sie ist kostenlos und kann das schönste Instrument werden, sofern wir es wollen. Dieses Instrument auszubilden ist die erstrangige Pflicht der Jugend, weil sie dadurch an die Pforte der höheren musikalischen Welt geführt wird."
6. Zitate aus "Kinderchöre" (1929):
Das Schulsystem mit Musik ergänzen - das Publikum von morgen - ungarische Volksmusik integrieren - Kinderchöre fördern - Kompositionen für Kinderchor fehlen - Lohngleichheit für Musiklehrer - Musiklehrer soll Kinder zwischen 6 und 16 für Musik begeistern
In die Lehrpläne die Musik ergänzen - da sind viele "musikalische Analphabeten" - da ist viele "wertlose Musik"
aus: Zoltán Kodály: Kinderchöre (1929) - 96 (7)
"Wenn man einen Blick in die ungarischen Lehrpläne wirft, sehen wir, dass ihre Verfasser von dem griechischen Ideal der Erziehung weit entfernt sind, das der Musik eine Zentralstellung eingeräumt hat. Hier liegt die Ursache dafür, dass bei uns zugunsten der höheren Ansprüche einer kleinen Minderheit Musikinstitutionen mit erheblichen staatlichen Zuwendungen unterhalten werden müssen. Millionen aber bleiben musikalische Analphabeten, freie Beute für wertlose Musik ... Wie wollen wir eine fremde Kultur verstehen, wenn wir unsere eigene nicht einmal kennen? ... Natürlich müsste manin allen Schulen Vokalmusik unterrichten, und zwar so intensiv wie die Muttersprache."
[Ergänzung: Singen für die Gesundheit
Kodály sagt klar: Volkslieder sind eine Variante der Muttersprache. Und man muss wissen: Das Singen entwickelt auch die Lungen und koordiniert die Atmung. Stotternde Kinder singen z.B. ohne Stottern. Kodály wird aber nicht klar, dass die "hohe", "klassische Musik" einen falschen Stolz in der "Elite" provoziert, so dass man die Massen gegeneinander manipulieren kann mit Kriegen innerhalb der Gesellschaftsschichten - und zwischen den Ländern. Die Warnung vor musikalischem Wahn für Kriege fehlt bei Kodály].
Kodály erfindet eine "edlere Musik" - die Kinder zwischen 6 und 16 Jahren sollen von "der grossen Musik durchdrungen" werden
aus: Zoltán Kodály: Kinderchöre (1929) - 114 (7)
"Was wäre da zu tun? In den Schulen müsste man den Gesang und die Musik so lehren, dass sie keine Qual, sondern eine Freude für den Schüler bedeuten und ihn Sehnsucht nach edlerer Musik sein ganzes Leben lang empfinden lassen. Dem Problem soll man sich nicht von der begrifflichen, rationalen Seite nähern. Man soll nicht das System von algebraischen Zeichen, eine Geheimschrift einer für das Kind gleichgültigen Sprache, in der Musik sehen. Ihr Weg ist durch unmittelbares Empfinden zu ebnen. Wenn das Kind im zugänglichsten Alter, zwischen sechs und sechzehn Jahren nicht vom belebenden Strom der grossen Musik durchdrungen wird, so wird es später kaum mehr dafür empfänglich sein. Oft darf man ein Erlebnis nicht dem Zufall überlassen. Es ist die Pflicht der Schule, dem Kind dieses Erlebnis zu verschaffen. Ich behaupte nicht, dass die Schule heutzutage in der Lage ist, das zu bieten. Ich halte aber für selbstverständlich, dass die Rahmenbedingungen sich ändern werden.
Die Volksschule bildet die Kinder in Musik aus - die später das Publikum im Opernhaus sind - "nur das Beste ist fÜr die Kinder gut genug"
aus Zoltán Kodály: Kinderchöre (1929) - 152 (7)
"Die Aufgabe des systematischen Aufbaues der Musikerziehung hat der Staat zu leisten ... Umsonst unterhält der Staat Opernhäuser und Konzertsäle, wenn sie von niemandem besucht werden. wir sollten ein solches Publikum erziehen, das die Kunstmusik ["klassische Musik"] als eine Lebensnotwendigkeit empfindet. Das ungarische Publikum muss aus seiner musikalischen Anspruchslosigkeit herausgeholt werden; das aber kann nur in der Schule begonnen werden."
aus: Zoltán Kodály: Kinderchöre (1929) - 185 (7)
"Was heute in der Schule gesungen wird, hat kaum etwas mit Kunst oder Qualität zu tun. Die Art aber, wie die Kinder singen, bleibt weit unter dem Niveau des Dilettantismus ... Ein Kind, das so erzogen wurde, wird meistens sein Leben lang nichts mit Musik als Kunst zu tun haben wollen. Es kommt bestenfalls in einen Gesangsverein, wo es denselben Schulgesang vorfindet, nur in einer Ausführung für Erwachsene."
aus: Zoltán Kodály: Kinderchöre (1929) - 197 (7)
"Machen wir doch Schluss mit dem Pädagogen-Aberglauben, dass ein verdünnte Ersatz der Kunst gut genug sei, als Lehrstoff zu dienen. Gerade nur die wahre Kunst wird von niemandem besser verstanden als vom empfindenden Kind, das noch von seinem Instinkt regiert wird. In jedem grossen Künstler ist das Kind lebendig geblieben ...
Nur wahre künstlerische Werte, nur das Beste ist für die Kinder gerade gut genug, alles andere ist schädlich für sie."
Die deutsche Kolonialmusik und seichte Zigeunermusik dominieren Ungarn - die Ungarn lehnen ihre eigene ungarische Volksmusik ab - "musikalischer Infantilismus" im ungarischen Schulsystem
aus: Zoltán Kodály: Kinderchöre (1929) - 199 (7)
"Der kleine Ungar an der Theiss [ung.: Tisza] denkt sich vielleicht, das ist die gehobene Musik, wo das ungarische Wort sich in dieser Deklamation gegen seine Natur wie in einen geliehenen Anzug geklemmt fühlt. So lernt er den Tonfall des ungarischen Liedes verachten, denn obwohl dort die Worte frei atmen, empfindet er es als alltäglich und bäurisch. Und weil ihm nur der auf der Oberfläche schwimmende, ramschigere Teil der uralten Volksmusik beigebracht wird - wenn überhaupt - , betrachtet er mit Ehrfurcht das Bessere, das Fremde. Weil aber sein Bedürfnis durch diese in Äusserlichkeiten kultivierte, inhaltlich aber um so nichtssagendere Musik nicht befriedigt wird, verliert er seinen Glauben an die bessere Musik und bleibt ein Leben lang in musikalischem Infantilismus stecken.
So schneidet die Schule den Weg der musikalischen Sensibilisierung dadurch ab, dass sie vom Fremden und auch vom Ungarischen nur das Minderwertige vermittelt. Man muss im Namen des guten Geschmacks und des Ungarntums gegen den heutigen, gängigen Unterrichtsstoff protestieren, den grossen Teil der einstimmigen Vokalwerke miteinbegriffen.
Manche Lehrbuchautoren halten die ungarischen Kinder für Idioten. Sie werden mit solchen Reimen und Liedchen geplagt, wie sie jedes Kind improvisieren könnte, ja noch besser, wenn man es gewähren lassen würde.
Es fehlen Komponisten, die für Kinderchöre schreiben - geistige und körperliche Schulung durch Kinderchor
aus: Zoltán Kodály: Kinderchöre (1929) - 199 (7) (Fortsetzung):
Vom Ausland, nur Meisterwerke! Es gibt genug. Aber die neue ungarische Musikliteratur wartet auf die ungarischen Komponisten. Hätte Ferenc Erkel nur einige kleine Chorstücke für Kinder komponiert, so hätten seine Opern jetzt mehr Publikum. Niemand ist zu gross, um für die Kleinen zu schreiben. Im Gegenteil, man sollte danach streben, dieser Aufgabe würdig zu sein. Was gebraucht wird, sind Originalwerke, die im Text, in der Melodie, in der Atmosphäre für den kindlichen Geist und für die Kinderstimme gearbeitet sind...
Der Musikunterricht ist heute das Aschenputtel unter den Fächern der Schule. Sei' schrum! Denn vom Prinzen wird es geholt, nur ihm passen die Schuhe. In keinem Fach wird das Kind geistig und körperlich mehr gefördert als in der Musik."
Der Musiklehrer / die Musiklehrerin in Ungarn sind unterbewertet fast ohne Lohn (Stand 1929)
aus: Zoltán Kodály: Kinderchöre (1929) - 201 (7)
"Die Effizienz des Musikunterrichts hängt von dem Pädagogen ab. Die Qualifikation, die von einem heutigen Real- oder Gymnasiallehrer in Musik verlangt wird, bewegt sich auf solch niedrigem Niveau, dass er, wenn er nicht aus eigenem Können etwas tut, nicht mal das in unseren Lehrplänen enthaltene Pensum schaffen kann ...
Es ist viel wichtiger, wer in Kisvárda [ungarisch: "Kleines Dorf"] Musik unterrichtet, als wer Generalintendant der Staatsoper ist. Der schlechte Operndirektor fällt durch, aber ein schlechter Lehrer tötet 30 Jahre hindurch in 30 Jahrgängen die Liebe zur Musik.
Der Status des zukünftigen Musiklehrers muss dem der übrigen Lehrer gleichgestellt werden. Vergebens bemühen wir uns, der musikalischen, gebildeten Jugend in diesem Beruf zu raten, vergebens versuchen wir, ihr klarzumachen, dass es einen erhabeneren und schöneren Beruf als die Erziehung des Volkes nicht gibt. Sie erkundigen sich, was ein Lehrer verdient und spielen vorläufig lieber in einem Kino Klavier, weil sie mit leerem Magen das Volk nicht erziehen können."
Das Kind zwischen 6 und 16 Jahren für Musik begeistern - Musiklehrer sollen begeistern und selber begeistert sein
aus: Zoltán Kodály: Kinderchöre (1929) - 237 (7)
Die Musik ist eine reiche Quelle der seelischen Bereicherung. Sie muss vielen zugänglich gemacht werden ... Der Musik soll man sich nicht von der begrifflich-rationalen Seite nähern ... Ihr Weg ist durch unmittelbares Empfinden zu ebnen. Wenn das Kind im zugänglichsten Alter, zwischen 6 und 16 Jahren, nicht vom lebendigen Strom der grossen Musik durchdrungen wird, so wird es später kaum mehr dafür empfänglich sein. Oft darf man ein Erlebnis nicht dem Zufall überlassen; es ist die Pflicht der Schule, dem Kinde dieses Erlebnis zu verschaffen.
aus: Zoltán Kodály: Kinderchöre (1929) - 286 (7)
"Wir brauchen einen Musiklehrer, der mittags nach dem zwölften Glockenschlag nicht gleich die Mörtelkelle in den Kasten wirft, sondern einen, der etwas Mehrarbeit als geistiges Bedürfnis empfindet, wozu er zwar von Amtswegen nicht verpflichtet ist, was aber seiner Arbeit Würze, Seele und Sinn verleiht."
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Fotoquellen
[1] Zoltán Kodály am Klavier: https://vk.com/wall-151003824_8
[2] Kinderchor in Ungarn: Bárdos Lajos - Édesanyámhoz (Lajos Bárdos - An meine Mutter): https://www.youtube.com/watch?v=1rVLSoFqsCs
[3] Ungarisches Kunsthandwerk Stickerei: https://www.pinterest.com/pin/310115124345147710/
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