Beim ersten
Durchgang wird alles nur gezupft, und auch
der Lehrer / die Lehrerin zupft. Das Kind
soll zuerst die Grundnoten und die Pausen
lesen lernen. Das Zupfen macht den Kindern
Spass, weil so der Bogen noch auf sich
warten lässt und nicht alle Schwierigkeiten
von Geigenspiel und Notenlesen auf einmal
kommen. Wenn man will, kann man die Geige
zuerst auch wie eine Gitarre "unter den Arm"
nehmen, und erst nach 2 Wochen die Geige auf
die Schulter setzen, die dann von der linken
Hand an der Zarge locker gehalten wird. Mit
der Geige unter dem Arm kann man die Kinder
auch herumlaufen lassen, damit sich die
Geige noch mehr in das Körpergefühl
integriert.
Man soll immer wieder kontrollieren, ob das
Kind eine lockere Haltung hat, damit sich
keine Verkrampfungen einschleichen. Am
besten ist es, wenn die Lehrperson auch ein
bisschen über Körperhaltung und
Alexandertechnik Bescheid weiss, so dass man
Grundfehler wie gebeugte Haltung, krummer
Hals oder hochgezogene Schulter gleich
korrigieren kann. Man tippe dabei mit einem
Bleistift leicht auf die Körperstelle und
gebe mündlich die Anweisung, das reicht
völlig aus, und das Kind korrigiert von
selbst.
Man soll das Kind am Anfang nicht zu sehr
mit den abstrakten Noten und Übungen
stressen. Deswegen ist am Anfang in den
ersten drei Monaten eigentlich eine halbe
Stunde pro Woche genug, das heisst, die
"Geigenstunde" (die normal 40 oder 50
Minuten hat) wird zu einer
"Geigen-Halbestunde" reduziert. Ausserdem
bringt die Zupferei mit sich, dass sich an
den Fingern eventuell Blasen bilden, und
wenn man nur eine halbe Stunde macht, kann
man die Blasenbildung meistens verhindern.
Das Kind soll auch wissen, dass zu viel
Zupfen Blasen verursacht, und entsprechend
ist 20 Minuten üben pro Tag genug. Später
kann man die ausgelassene Zeit nachholen,
was mit den Eltern abgesprochen werden muss.
Man kann z.B. Gutscheine ausstellen, damit
auch das Kind weiss, dass es nicht 10
Minuten verloren hat. Oder wenn der Lehrer /
die Lehrerin gerne singt, kann man in der
restlichen Zeit mit dem Kind Lieder singen,
die später dann auf der Geige gespielt
werden. Aber auch dies ist mit den Eltern
des Kindes abzusprechen, damit diese den
Sinn verstehen, der dahintersteckt. Man kann
sich kaum vorstellen, wie dumm teilweise die
Eltern sind, und welche Gerüchte sie gegen
die Lehrpersonen verbreiten, wenn sie den
Sinn nicht begriffen und vorgekaut bekommen
haben.
Vor dem zweiten Durchgang der Geigenschule
"Die Geige" - das Kind kann nun die
Grundnoten und die Pausen lesen und hat ein
Rhythmusgefühl entwickelt - braucht es
"trockene" Bogenübungen mit dem Bogen. Das
Kind soll sich den Bogen "einverleiben" und
muss die Bogenebenen kennenlernen und spüren
lernen, indem der Bogen am Frosch und an der
Spitze in einer lockeren Haltung auf der
Höhe des Bauchnabels vor dem Bauch gehalten
wird, zuerst mit der Faust, dann in offener
Handhaltung, und so Übungen gemacht werden,
z.B. einen Halbkreis wie ein
Scheibenwischer, oder auf und ab wie eine
Fensterstore, oder eine "Rolle". Als nächste
Bogenübung kann man in der linken Hand eine
WC-Rolle halten und den Bogen durch die
WC-Rolle fahren lassen, zuerst auf der Höhe
des Bauchnabels, dann immer höher. So lenkt
die WC-Rolle den Bogen und bewirkt einen
geraden Bogenstrich. Das Kind erlernt so das
Gefühl für einen geraden Bogenstrich im
rechten Arm. Der rechte Arm lernt, wie er
sich zu bewegen hat, um einen geraden
Bogenstrich zu bewirken.
Beim zweiten Durchgang der Geigenschule "Die
Geige" wird der Bogen weiterhin in einer
einfachen, barocken Bogenhaltung gehalten,
also etwas aufwärts des Frosches in einer
lockeren Haltung ohne speziellen "Griff".
Gleichzeitig soll das Kind aber wissen, dass
der Bogen parallel zum Steg geführt werden
soll (das wurde schon mit der WC-Rolle
geübt), und dass sich die Strichstelle in
etwa in der Mitte zwischen Steg und
Griffbrett befindet. So wird jegliches
Kratzen verhindert, und das Kind gewöhnt
sich an einen lockeren Ton ohne grosse
Verkrampfungen am Oberkörper. Das Kind lernt
auch bald gut hören, wenn ein Ton "gut" ist
oder nicht, wenn an der falschen Stelle
gestrichen wird.
Es ist darauf zu achten, dass im weiteren
Verlauf die Armhaltung des Bogenarms in etwa
mit der gespielten Seite im Verhältnis
steht. Das Kind soll sich von Anfang an
daran gewöhnen, dass der rechte Arm beim
Spiel auf der G-Saite hoch gehalten werden
muss, um auf dieser dicken Saite einen
optimalen Klang zu erhalten. So gewöhnt sich
das Kind auch gleich an einen optimalen
Klang. Beim Spiel auf der E-Saite soll der
rechte Arm entsprechend tief gehalten
werden. Ausserdem braucht die feine E-Saite
nicht viel Druck. Wenn dies dem Kind gesagt
wird, so gewöhnt sich das Kind von Anfang an
an die verschiedenen Charaktere der Saiten.
So kommt es, dass kein Kind auf der Geige
"kratzt", weil die Kinder dies dann selber
darauf achtgeben, dass nichts kratzt.
Die "richtige" Bogenhaltung mit einem
"modernen" Bogengriff des 19. Jh. (runder
Daumen, kleiner Finger auf der Bogenstange
als Regulator des Bogengewichts) kann man
mit den "trockenen" Bogenübungen einführen,
wenn die Zeit dafür reif erscheint, ca. nach
3 Monaten. Es werden alle "trockenen"
Bogenübungen mit dem neuen Bogengriff
wiederholt, und dann zusätzlich die wichtige
Übung "Bahnschranke" eingeführt, um das
Gefühl für den runden, kleinen, federnden
Finger auf der Bogenstange zu entwickeln:
Zuerst wird der Bogen mit beiden Händen
waagrecht vor dem Bauchnabel gehalten, und
dann lässt die linke Hand den Bogen los und
der kleine Finger der rechten Hand übernimmt
die Regulation des Gewichts des Bogens. Nun
folgen Handgelenksdrehungen der rechten Hand
mit dem Bogen (wie eine "Bahnschranke", auf
und ab), und Zeigeübungen, mit dem Bogen im
Bogengriff auf Gegenstände zu zeigen etc. So
wird der Bogen nach 3 Monaten "ein Teil" des
rechten Arms, und es hat nie irgendetwas
"gekratzt"...
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